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  • AutorenbildBirgit Wichmann

Ein Text-Praktikum zum Anbeißen

Für mein Praktikum habe ich „Die eine Frau“ gesucht. Ihr wisst schon die eine, die mir in den nächsten zwei Wochen Befehle geben wird. Ich habe keine hohen Erwartungen gehabt. Der „Lockdown“ ist endlich vorbei und wir haben gerade unseren Winterschlaf beendet. Irgendeine Aufgabe wird sie schon für mich haben, irgendetwas werde ich lernen und irgendwann werden die zwei Wochen vorbei sein. Halleluja! Die Frau, die ich fand, heißt Birgit Wichmann, sie ist eine „Freie“, keine Sklavin, sondern freie Texterin, Autorin, Journalistin und Trainerin. Und ich? Ich bin nichts davon, aber auch keine Sklavin, und nein, alles kann man nicht in zwei Wochen lernen! Oder vielleicht doch?

Literaturrecherche für Dummies


Meine erste Aufgabe ist eine Literaturrecherche. Eine kalte Dusche für mich. Dabei hatte ich schon geduscht. Mir wurde kalt, eiskalt. Ich hatte richtiggehend Schüttelfrost und ich wollte Frau Wichmann schnell mitteilen, dass ich krank bin, so dachte ich. Das ist viel schlimmer als eine Grippe und weniger wie zwei Wochen wird sie sicher nicht dauern, die Literaturrecherche. Sie muss sich keine Mühe mehr geben. Ich bin schon erledigt. Ihre Zeit ist kostbar und ich will ihr diese Zeit nicht nehmen. Sie hat das nicht verdient. Schließlich, sie ist eine nette Frau und sie hat gerade ein Glas Goldene Milch für mich gemacht. Die ist richtig lecker. Sobald ich meine Milch ausgetrunken habe, verabschiede ich mich von ihr. Das ist der Plan.


Unverhofft kommt oft

Plötzlich sagt sie etwas für mich völlig Unerwartetes. Sie macht mir den Vorschlag in den Wald zu gehen. Der liegt vor ihrer Haustür. Das hört sich ganz gut an. Wir sollen gemeinsam in den Wald gehen und nicht irgendwann, wir sollen gleich gehen. Ich habe wirklich nichts dagegen, draußen scheint die Sonne und Gott sei Dank hat sie offenbar auch keine Lust zu Arbeiten. Die Frau Wichmann wird noch einiges von mir lernen. Da bin ich mir jetzt sicher. Wir werden jetzt viel Spaß haben und die Literaturrecherche hat sie sicher schon vergessen. Ich sollte mich täuschen.

Heute schon geduscht

„Wir sollten das schöne Wetter nutzen, die Natur ist gut für den inneren Ausgleich und draußen bekommen wir leicht neue Ideen“, meinte Frau Wichmann und ich bestätigte schnell diese Aussage. Nicht, dass sie es sich noch einmal anders überlegt. „Ja, es ist endlich schönes Wetter und wir sollten so viel wie möglich draußen sein. Wir haben alle sehr wahrscheinlich gar kein Vitamin D mehr in unserem Körper. Am besten gar nicht mehr nach Hause gehen“, das war meine Aussage. „Aber ich habe meine Aufträge, die kann ich nicht links liegen lassen und nur Spaß haben. Die Leute verlassen sich auf mich, so wie ich mich jetzt auf dich verlassen möchte.“ Diese Aussage war die nächste kalte Dusche für mich, aber dieses Mal mitten im Sommer, jetzt mitten im Wald. Ich fühle mich inzwischen viel leichter. Ich sage ihr jetzt gleich, dass ich so vergesslich bin und mir die Buchcharaktere nicht merken kann und dass ich mir allgemein keine Namen von Menschen merken kann.


Vorsicht Schlange!

Plötzlich begann ich zu schreien. Das war einer der schrillsten Schreie, die ich je gemacht habe. Eine Schlange lag direkt vor mir. Ich bin mir ganz sicher, dass in diesem Wald noch nie ein so lauter Schrei zu Hören war. Ich entschuldigte mich bei allen Waldbewohnern, natürlich nur innerlich. Doch was war das für ein Tag? Ein Montag, eine Schlange und eine Literaturrecherche. Das alles war nicht mehr zum Aushalten. Jetzt habe ich auch noch Herzklopfen und deshalb bitte ich Frau Wichmann um Hilfe. „Das ist doch nur eine Schlange und du hast sie sehr erschreckt“, sagt sie zu mir. Um mich zu schützen, stellt sie sich an meine rechte Seite, damit mir der Blick auf die Schlange verwehrt bleibt. „Jetzt müssen wir zurückgehen“, sagte sie zu mir und drückt mir ein Kräuterzuckerl in die Hand.


Ein Trauma aus der Schulzeit

Aber jetzt wirklich zu meinem größten Problem, wie sage ich ihr, das ich die Literaturrecherche nicht machen möchte. Damit hatte ich schon in meiner Schulzeit für immer abgeschlossen. Mit dem Lesen habe ich kein Problem, aber alle diese blöden Recherchefragen empfand ich in meiner Schulzeit schon als sinnlos und wer kann alle diese Fakten mit Sicherheit wirklich wissen? Das war für mich früher nur Zeitverschwendung und reinste Spekulation. Kein Schriftsteller konnte etwas bestätigen, weil keiner mehr lebt. Wie kann jemand mit Sicherheit behaupten, wie die genauen Lebensumstände zu dem Zeitpunkt waren, als das Buch geschrieben wurde?


Aller Anfang ist schwer...

Jetzt sitzen wir wieder bei Frau Wichmann im Homeoffice und sie erklärt mir gerade mein Arbeitsauftrag. Überraschend stelle ich fest, wie gut sie alles erklären kann und mir bleibt nichts weiter übrig, als das zu machen. Ran an den Speck. Ja, jeder Anfang ist schwer, aber „Wo ein Wille, da ein Weg“ und mein Wille war plötzlich da. Das lag sicher daran, dass sie mir alles mit großer Begeisterung beibrachte. Das Gute daran für mich, sie spricht ein exzellentes Hochdeutsch und kennt die alten Meister rauf und runter. Ein schöner Nebeneffekt, denn meine Deutschkenntnisse werden sich verbessern. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und wollte ab jetzt mein Bestes geben.


Und plötzlich ist alles ganz anders

Heute ist mein vorletzter Praktikumstag und morgen werden wir sogar eine kleine Abschiedsparty haben. Ja, es gibt wirklich etwas, was ich feiern möchte. Mein Praktikum war sehr erfolgreich! Nachdem ich Instagram Posts für sie erstellt hatte, durfte ich auch Illustrationen für ihr neues Kinderbuch machen. Diese Aufgabe war eine sehr schöne Erfahrung für mich. Und die Literaturrecherche machte mir plötzlich so viel Spaß, dass ich 100 Seiten zusammen recherchierte. Frau Wichmanns verwunderter Blick wird mich wohl noch lange begleiten. Viel Arbeit für sie. Aber es scheint wirklich darauf anzukommen, dass die Chemie stimmt und jemand wirklich gut erklären kann. Das weckt Vertrauen und damit geht alles besser.


Und am Ende möchte ich mich bei Frau Wichmann für ihr Vertrauen bedanken und auch für ihr Engagement. Es war eine schöne Zeit, in der ich sehr viel gelernt habe. Zu meiner eigenen Verwunderung!


Übung macht den Meister...
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