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  • AutorenbildBirgit Wichmann

Zwischen den Zeilen lesen – die Wirkung von Texten

Selten einmal ist sich jemand beim Lesen darüber im Klaren, wie Sätze, Wörter und Texte auf ihn wirken. Zumindest nicht bewusst. Was aber jeder von uns weiß, ist, dass Texte in uns Stimmungen und Gefühle hervorrufen sowie zu einer Meinungsbildung führen können. Vielleicht genau deshalb lese ich jeden meiner Texte nach der Fertigstellung noch einmal laut und achte dabei auf den Ton. Eine kleine Analyse also, um zu erfahren, ob der Text dem Leser gefallen könnte oder eben nicht.

Analyse eines fremden Textes

Gerade bei fremden Texten kann man als Autor sehr viel lernen. Finde ich den Text spannend, so frage ich mich, warum? Langweile ich mich aber, so frage ich mich auch warum und schaffe es meist nicht bis an das Ende. Wer versucht, diesen Fragen auf den Grund zu gehen, lernt sehr viel über die Wirkung der Sprache, den Vokalen und Konsonanten. Zwischen den Zeilen lesen zu können ist eine Kunst, die Autor und Leser gleichermaßen beherrschen sollten. Als Autorin kann man so auch viel bessere Texte schreiben. Einer der Gründe, warum ich so viel lese. Doch wie gestaltet sich eine solche Textanalyse nun genau?


Welche Perspektive hat der Autor gewählt?

Die Perspektive hängt natürlich von der Darstellungsform ab. Schon in der Schule lernen wir, dass sich ein Bericht von einer Reportage stark unterscheidet. Auch ein Kommentar als meinungsbetonter Text ist etwas völlig anderes als eine Nachricht. Als Autor ist man sich darüber bewusst, dass jede Darstellungsform eines Textes verschiedene Facetten hat. Bei einigen Texten muss man sehr tief eintauchen, während man bei anderen an der Oberfläche bleiben darf. Die Reportage etwa muss in den Mittelpunkt des Geschehens vordringen. Ein solcher Text vermittelt häufig eine bestimmte Perspektive. Eine Nachricht dagegen muss kurz, kompakt und neutral geschrieben sein. So gestaltet sich dann auch die Wirkung auf den Leser. Eine Reportage nimmt uns mit in das Geschehen, während eine Nachricht lediglich informiert.


Wie werden die Protagonisten beschrieben?

Geschickte Autoren können für ihre Protagonisten durch eine entsprechende Wortwahl Sympathien erzeugen. So wird der Leser unterschwellig beeinflusst. Ein gutes Beispiel dafür sind Verben, die positiv besetzt sind. Sicher wirkt ein Mensch, der bewundert oder sich freut, sympathischer als einer, der schreit oder droht. Auch die Anzahl der Informationen kann den Leser beeinflussen. Je mehr Informationen über den Protagonisten vorliegen, umso näher fühlt sich ihm der Leser. Schafft es ein Autor nicht, seinen Protagonisten ein Gesicht zu geben, so reagiert der Leser mit Desinteresse und Abwehr.


Der formale Aufbau des Textes

Auch die unterschiedlichen Satzlängen haben ihre Wirkung. Lange Sätze wirken meist nüchtern und lassen sich schwer lesen. Kurze Sätze dagegen bringen Spannung und Aufregung. Ein Text kann auch durch rhetorische Mittel, eine wiederkehrende Wortwahl oder grammatikalische Elemente strukturiert werden, denn so können bestimmte Inhalte gezielt hervorgehoben werden.


Einzelnen Worten kommt bei einer Textstruktur eine wichtige Rolle zu. Worte, die dem Leser vertraut sind und dabei auch klar rüberkommen, rufen intensive Emotionen hervor. Unbekannte, lange und ausgefallene Wörter bringen ganz andere Emotionen zum Erwachen. Auch bei der Wortwahl muss ein Autor aufpassen. Es gibt viele Wörter, die das gleiche Aussagen, aber verschiedene Assoziationen erzeugen. Das kann jeder für sich an diesem Beispiel prüfen:


  • Nacheifern (positiv besetzt)

  • Nachäffen (negativ besetzt)

  • Günstig (positiv besetzt)

  • Billig (negativ besetzt).


Wann ist ein Text spannend?

Das hängt nicht nur vom Thema ab, sondern auch von den gewählten Wörtern und deren Vokale. Man achte beim Lesen einfach mal auf die Aussprache der Vokale. Jeder Autor sollte deshalb auf seine Wortwahl großen Wert legen. Worte erzeugen Emotionen. Doch auch die Vokale lassen in uns Emotionen hochkommen.


  • Dunkle Vokale wie a, o und u = ruhige, finstere Stimmung

  • Helle Vokale wie e und i = aufregende und fröhliche Stimmung

  • Harte Konsonanten wie k, p, r und t = aggressiv und abweisend

  • Weiche Konsonanten wie b, d, f, m und n = beruhigend


Wie man sehen kann, kommt es nicht nur auf die Satzlänge an, sondern auch auf die Wahl der Wörter. Texte können also jeden Leser unbewusst oder bewusst beeinflussen. Wichtig dabei ist auch das Lesen zwischen den Zeilen. Diesen Text nimmt man nicht immer auf den ersten Blick mit. Da hilft lautes Lesen, damit man als Texter auch den richtigen Ton trifft. Schließlich muss jeder Texter den richtigen Ton treffen, um den Leser in seinen Bann zu ziehen.


© Ernst Ferstl (*1955), österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker


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